...

Hirschgeröhr im Eisdickicht
Drama für viele Personen

Bitterkalte Winternacht. Die Beleuchtung wechselt. Manchmal Mond und Sterne, manchmal Wolken. Flaches Gelände, bläulich schimmerndes Eis bis zum Horizont; Einzelne Bäume, Buschwerk, einige Zäune. Stille. Nur ein feines Sirren wie von Außerirdischen.
Rotbäckchen auf Schlittschuhen, nähert sich in weiten Schwüngen, erreicht den Zaun und lehnt dann heftig atmend und vergnügt an Pfosten. Zuerst kann sie gar nichts sehen, allmählich unterscheidet sie im Dunkel schemenhafte Gebäude, Dinge, Gestalten.
Rotbäckchen: puh
(keine Antwort, nur der Gesang der Außerirdischen)
Rotbäckchen: Puh hah
(Kapuziner in weitem Umhang nähert sich mit knirschenden Schritten.)
Rotb.: Puh hah hah puh
Kapu.: kun scha schah heu
Rotb.: Wer bist du?
Kapu.: Offensichtlich der erste für dich. Und Du?
Rotb.: Hannelore. Die würd ich gern sein.
Kapu.: War schon mal da. Aber sie selbst meinte, es lohnt nicht.
Rotb.: Und wo bin ich hier.
Kapu.: Am Eingang zu den abgelegen Gehöften.
Rotb.: Das erinnert mich an was. Aber wieso abgelegen. Ich fand auf direktem Weg hierher.
Kapu.: Wer hier her findet, der hat sich verloren. Willst du eintreten?
Rotb.: Klar, gern, wenn ich darf. Kälter als hier kann es nicht mehr werden.
(Wirft sich die Schlittschuhe über die Schulter und schreitet durch die Pforte. Kapuziner verschließt diese umständlich und murmelt dabei Beschwörungsformeln.) Ich fühl mich aber noch ganz bei mir.

(Sie sieht den Turm aus Lexika und Wörterbüchern. Der Goldschnitt glänzt im Mondlicht wie die Zinnen von Jericho. Oben hockt Maksimilian, der Ausschau hält und hin und wieder kleine bekritzelte Papierblätter herunterwirft. Rotbäckchen hebt einen Zettel auf, liest, lacht aus vollem Mund und steckt den Zettel sorgfältig ein.
Maks.(vom Turm): Wieviel Melancholie ist in Ihnen? (im Herabsteigen leise zu Kapuziner) Nimm ihr das weg. Hast du das Hundehalsband?
(Unten angekommen zu Rotbäckchen) Na? You need a little help?
Rotb.: but only from my friends!
Maks: by. Better by my friends.
Rotb.: ich glaub, ich glaub ihnen nicht.
Maks.: Egal. Udo Jürgens hat gesagt, das Leben sei die Bewältigung von Melancholie und Depression. Der hat ein Klavier. Was haben sie?
Rotb.: Ich habe meine Beine. Damit komme ich und gehe ich wohin ich will.
Maks.: Da wär ich nicht so sicher?
( Kapuziner will ihr von hinten das Hundehalsband über den Kopf streifen. Er hält inne, als Jolly Jumper plötzlich wie eine Sprungfeder aus einem Loch unmittelbar neben den dreien hochschnellt)
J.J.: Haltet ein Freunde. Nicht diese Töne. Noch dazu im Mozart-Jahr. (Singt)
Will mit meinem Hund spazieren
Will ihn keinesfalls verlieren
Brauch ein Kettchen für das Tier
Kapuziner, reich sie mir!
(Kapuziner gibt ihm widerwillig und mit bedauernder Geste zu Maksimilian das Hundehalsband. Jolly Jumper springt pfeifend davon. Rautenkranz und Kellergeister, gekleidet wie Landarbeiter, nähern sich schnaufend, jeder trägt eine große Schaufel vor sich her.)
Kellerg.: Je mehr Löcher wir stopfen, um so mehr werden es. Auch dein Gefühl?
Rauten.: Ich fühl schon fast überhaupt nichts mehr. Mir ist alles ganz abgestorben von der Plackerei.
Kellerg.: Warum eigentlich immer wir? He, Maksimilian, Kapuziner: warum eigentlich immer wir beide?
Kapu: Ewige Ordnung, Rituale von alters her. Lange Zeit wart ihr einverstanden.
Maks.: Ein Dekret aus dem frühen 7.Jhdt. verfügt, dass die Löcher immer müssen gestopfet werden von zweien, die, ich zitiere sinngemäß: sich einig sind im guten Willen, zukunftsorientiert, demütig gegen das Leben und dienstbereit.
Kapu.: Und bei dem Eignungstest damals, habt ihr eindeutig am besten abgeschnitten. Ihr seid einfach: prä-des-ti-niert dafür.
Rotb.: Das bin ich auch. (zu Rautenk/Kellerg, die sie erst jetzt bemerken): Die Leere füllen, das ist genau mein Ding. Habt ihr noch eine Schaufel, dann bin ich dabei.

(Wie diese spannende Geschichte weitergeht und wer sich noch aller auf dem abgelegenen Gehöft rumtreibt erfahrt ihr in der nächsten Folge.)
gunther (Gast) - 28. Jan, 18:45

habe gefunden gelache von der Geschichte. Bin ja oft auch bekannt mit diese Nacht. wenn es ist so kaltig, dass du willst ritzen nicht einen Stein. Aber ein paar mal habe ich Unkenntnis behalten. So möchte ich kennen, was ist geschrieben auf Zettel und was ist bedeutsam wenn es ist gesagt:'aus vollem Mund'; hat Rotbäckchen gegessen auf Schlittschuhe? Und JollyJum was sucht in Loch? Vielleicht gräbt nach blümchenzart? Was will Kap+Maks mit gefesselter Frau? Nicht doch wie bei uns? Werden schaffen alle Loch zu von raut/kellerg wenn rotkappe hilft. Und wann kommt gunther. mit hochspannender achtung
euer runensteinfabrikant

gunther (Gast) - 29. Jan, 15:41

falsche identitaet

jeder sollte besser unter seinem namen schreiben
jan 18:45 oder hast du falscher keinen?
neuruppino (Gast) - 30. Jan, 19:31

und am ende ist es doch wieder die immer gleiche abgefuckte chose von zweien die sich finden, gell? Kapuzinerd und Mäxchen haben sich ja schon, Rautenkranz und Kellergeister. joa mei dös is ja freili a rechts gaudi und jolly wird Rotbäckchen dann auch gewissbeim Löcher-Stopfen behilflich sein. Schade eigentlich. ad quem finem?

maksimilian - 31. Jan, 11:48

Genus

"die Gaudi", allerdings der "Gaudibursch"! Sehe gerade im Wahrig, es geht auch im Neutrum, was mir widerstrebt. Man müsste einen Bayern fragen.
buchstab (Gast) - 31. Jan, 17:06

Ich vermute, es geht um ein altes Problem, die Dialektik von Herr und Knecht. Das Spiel um Lust und Gewalt auf einem abgelegenen Hof. Die dienstbereiten Geister, die sich manchmal etwas empören aber immer wieder genährt werden in ihrem Eifer durch gute Seelen wie Rotbäckchen, und auf der anderen Seite die Herrscherwesen die Erhabenen (der Turm!), die Wissenden (es fehlt noch die Verbindung von den alten Traditionsmedien zu den Ureinwohnern des Netzes, kommt aber bestimmt noch), die die Welt mir ihren Slogans überziehen und ihre Sado-Orgien vorbereiten. Pure Obszönität erheischt periodisch immer wieder Faszination, ist aber in der TAT einfach ekelhaft. Siehe dazu den Beitrag von Neuruppino und den zu stopfenden Frauen (warum eigentlich Frauen? wegen des einen Lochs, das sie mehr haben). Das mein ich eben: ziemlich ekelhaft.

rautenkranz (Gast) - 6. Feb, 17:36

Zu den 'Löchern' ein vielleicht erhellender Beitrag von Henning Mankell aus der 'Zeit' vom 12.01.
"Die Welt der Massenmedien ist für mich geprägt von der Vorstellung eines symbolischen Kräftemessens. Das Spielfeld sieht ungefähr aus wie die Arena für klassische Gladiatorenkämpfe. Auf zwei Seiten einer Grube steht je ein Journalist mit einem Spaten. Der eine gräbt unermüdlich Sand herauf, um das Loch tiefer zu machen. Der andere schaufelt das Loch ebenso unermüdlich wieder zu. Das Kräftemessen geht pausenlos weiter, es ist eine Sysiphos-Arbeit, das Graben und Zuschaufeln zieht sich durch die Epochen, und es gibt immer nur vorläufige Sieger. Manchmal triumphiert der enthüllende grabende Journalist, manchmal der andere, verbergende, der Spuren verwischt, der wie ein Hofnarr mit biegsamem Rücken das Machtspiel mitspielt."
Interessant an diesem Beitrag ist zweifellos die scheinbar selbstverständlicihe Vermeidung jeglicher sexueller Konnotation im Kontext des Löcher-Stopfens. Möglich natürlich, das Mankell zu dem Zeitpunkt der Niederschrift noch keine Kenntnis hatte von den enthüllenden Ausführungen Neuruppinos. Möglich allerdings auch, dass Mankell den sexuellen Aspekt sehr sublim ausschließlich nur noch unter Begrifflichkeiten von Macht und Unterwerfung zu fassen bereit ist und sich damit der in der Szene von Maksimilian vertretenen
libidinösen Attitüde annähert. Fragen über Fragen.

Rautenkranz (Gast) - 4. Jul, 21:20

Geständnis

erst so (zu) spät habe ich diese Geschichte gelesen..., wurde sehr amüsiert und irgendwie gerührt, vielen Dank!!! (Ruppos Kommentar hingegen ist abgestanden und nervt gewaltig!!)

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